Themenfelder und Schwerpunkte

Die bestehenden Standorte der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut verfolgen unterschiedliche Themenfelder und Schwerpunkte in ihrer Arbeit. Hier werden einige davon vorgestellt (Gesundheit, Armutssensibilität, Freizeit & Bildung, Lotsensysteme, Familienpatenschaften) und jeweils mit Beispielen aus der konkreten Arbeit an einem oder mehreren Standorten verbunden. In welchem Zusammenhang die Beispiele zu den Lebenslagendimensionen stehen, zeigt die folgende Übersicht:

Übersicht zu den Themenfeldern und Projektbeispielen

Die Darstellung der Themenfelder wird nach und nach von Zeit zu Zeit erweitert. Wenn Sie auf der Suche nach Informationen zu weiteren Themenfeldern oder Beispielen sind, sprechen Sie uns gerne an!

Themenfeld 1: Gesundheit

Themenfeld 1: Förderung der Kindergesundheit, der gesunden Ernährung und Bewegungsförderung

Das Armutsverständnis der Präventionsnetzwerke bezieht sich nicht nur auf Einkommensarmut. Es geht vielmehr darum, die Benachteiligung von armutsgefährdeten Kindern in unterschiedlichen Lebensbereichen wie beispielsweise Bildung, Kultur, Freizeitaktivitäten, Sport oder Gesundheit zu vermindern und eine weitgehend gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.

Der Gesellschaftsreport BW Nr. 3-2018 mit Titel „Familienarmut – ein Risiko für die Gesundheit von Kindern“ stellt fest, dass Übergewicht und Adipositas bei 4- bis 5-jährigen Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus wesentlich häufiger vorkommen als bei Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus. Zudem zeigt sich, so der Bericht, bei Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus seltener eine altersentsprechende Grobmotorik. Und auch die Zahngesundheit ist vom Sozialstatus und Bildungsniveau abhängig: Kinder in Gymnasien schneiden hier deutlich besser ab als Kinder in Hauptschulen. Der Sozialstatus der Eltern beschreibt insbesondere das Bildungsniveau sowie die Erwerbs- und Einkommenssituation.

Der Bericht zu „Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg“ aus dem Jahr 2021 zeigt, dass Kinder aus benachteiligten Familien oft einen schlechteren gesundheitlichen Status haben als Kinder, deren Familien nicht armutsgefährdet sind. Dieser Zusammenhang zwischen dem elterlichen Einkommen, Bildungsniveau sowie berufsbezogenen Position einerseits und der kindlichen Gesundheit andererseits zeige sich in zahlreichen Studien und wird in dem Bericht auch für Baden-Württemberg deutlich. Auf der Grundlage des Sondermoduls der EU-SILC Befragung aus dem Jahr 2017 kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass die Gesundheit von 97 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die nicht als armutsgefährdet gelten, durch ihre Eltern als gut oder sehr gut eingeschätzt wird. Dasselbe gilt hingegen nur für 87 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die in armutsgefährdeten Haushalten aufwachsen.

Der enge Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit wird ebenfalls auf der Basis der im Rahmen der Kiggs-Studie erhobenen Daten, einer Langzeitstudie des Robert Koch-Instituts zur gesundheitlichen Lage der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, deutlich. Lampert und Kuntz (2019) kommen auf der Grundlage der Kiggs-Daten zu dem Ergebnis, dass in Armut lebende Kinder und Jugendliche im Vergleich zu nicht betroffenen Heranwachsenden häufiger gesundheitliche Beschwerden aufweisen, was sich auf die physische und psychische Gesundheit bezieht. Der Vergleich zwischen diesen Gruppen zeige, dass von Armut bedrohte Kinder und Jugendliche häufiger nachteilige Ernährungsweisen aufweisen, sich weniger bewegen und stärker von Übergewicht und Adipositas betroffen sind. Die Autoren schlussfolgern: „Die Erklärung der gesundheitlichen Auswirkungen von Armut muss an den eingeschränkten Lebensbedingungen und sozialen Teilhabechancen ansetzen“ (S. 270). Hier zeigt sich erneut die Relevanz der Armutsprävention, die an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ansetzt und welche auch im Konzept der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut verfolgt wird und darauf abzielt, die Teilhabechancen armutsbedrohter Kinder und Jugendlicher zu fördern. 


Einzelne Erfahrungen bei der Umsetzung des Themenfelds an den Standorten:

Der Förderaufruf „Aktiv und gemeinsam gegen Kinderarmut und für Kindergesundheit“ für den Aufbau kommunaler Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut aus dem Jahr 2018 hat den Fokus erstmals auf das Thema Kindergesundheit gelegt. Ziel war es, mithilfe von Projekten zu einer gelingenden gesundheitsförderlichen Entwicklung aller Kinder in Baden-Württemberg beizutragen, die unabhängig vom Sozialstatus der Eltern ist. Auch wenn das in späteren Förderaufrufen so explizit nicht mehr der Fall war, haben viele Standorte mit Präventionsnetzwerken das Thema als besonders relevant für ihre Arbeit bewertet und hier einen Schwerpunkt gesetzt. Sie berichteten zum Teil, dass es so möglich war, die die Zusammenarbeit zwischen Gesundheitsamt und Jugendamt sowie mit dem Amt für Sport und Bewegung aufzubauen oder zu verstärken. Einige Standorte und beteiligte Akteurinnen und Akteure machten auch die Erfahrung, dass Angebote mit Bezug zu Kindergesundheit weniger mit Stigmatisierung assoziiert werden als wenn es rein um materielle Armut von Kindern und Jugendlichen geht. 

Als Partnerinnen und Partner für die Bearbeitung des Themenfelds Kindergesundheit, gesunde Ernährung und Bewegungsförderung wurden Krankenkassen in die Netzwerkgruppen eingebunden. Auch Sportvereine waren an vielen Standorten gerne bereit, sich zu diesem Thema für armutsgefährdete Kinder und Jugendliche zu engagieren. Zum Beispiel von Seiten der Kinderturnstiftung oder des württembergischen Sportbunds wird das unterstützt.

Mögliche Kooperationspartnerinnen und -partner sind auch Kinderärztinnen und Kinderärzte, da sie in ihren Praxen häufig mit der Problematik der Kinderarmut konfrontiert werden. Bei ihnen war es aber aufgrund ihrer hohen Arbeitsbelastung schwieriger, so die bisherige Erfahrung der Standortverantwortlichen, sie für eine Mitarbeit zu gewinnen. Die Landesärztekammer könnte ein guter Zugangsweg sein, die Ärztinnen und Ärzte über eine Aufnahme der Thematik in Fortbildungsprogramme zu sensibilisieren. 

Einen inhaltlichen Impuls zum Thema hat das Fachgespräch „Prävention weitergedacht“ zur Bewegungsförderung am 30. März 2022 gegeben. Hier hat Professorin Dr. Christine Joisten von der deutschen Sporthochschule in Köln zum Thema „Die Relevanz von Bewegung(sförderung) für benachteiligte Kinder und Jugendliche“ referiert. Stephanie Limbach hat des Weiteren das Angebot des Württembergischen und des Badischen Sportbunds vorgestellt.

Bei der Ausgestaltung der konkreten Angebote wurde an den Standorten darauf geachtet, dass sowohl für Kinder als auch für Eltern nicht nur der pädagogische Anspruch im Vordergrund stand, sondern auch der Spaß an der Bewegung oder die Freude am Kochen und Essen nicht zu kurz kamen. Für die Zielgruppen ist bei Angeboten zur Kindergesundheit auf diese Weise nicht das Gefühl entstanden, eine „Problemgruppe“ zu sein. 
 

Zu Themenfeld 1: Berichte aus der Praxis der Standorte

Aktionen im Ostalbkreis

Regelmäßige Bewegung ist für eine gesunde körperliche und psychische Entwicklung von Kindern essentiell. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts erreichen nur etwa 45 Prozent der 3- bis 6-jährigen Kinder in Deutschland die Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO (60 Minuten körperliche Aktivität pro Tag). Diese Problematik hat sich in den letzten Jahren auch aufgrund der Corona-Pandemie noch verschärft.

Vor diesem Hintergrund setzt sich das Landratsamt Ostalbkreis im Rahmen des Projekts „Ostalb bewegt Kinder“ gemeinsam mit dem Turngau Ostwürttemberg, dem Sportkreis Ostalb und der AOK Ostwürttemberg für die Bewegungsförderung bei Kindergartenkindern im Alter von drei bis sechs Jahren ein. Folgende Maßnahmen wurden im Jahr 2022 gemeinsam umgesetzt:

Kongress „Bewegungsförderung im Kindergarten“

Am 25. Juni 2022 fand in Wasseralfingen ein kostenfreier Kongress für Erzieherinnen und Erzieher im Ostalbkreis statt. In verschiedenen praxisorientierten Workshops erlangten die Teilnehmenden Kompetenzen dazu, wie sie abwechslungsreiche Bewegungseinheiten mit viel Spaß im Kindergarten umsetzen können.

Aktionstage

Von April bis November 2022 führte die Projektgruppe von „Ostalb bewegt Kinder“ so genannte „Aktionstage“ durch, bei denen Kindergartengruppen von den örtlichen Sportvereinen eingeladen wurden, um das Mini-Sportabzeichen zu absolvieren. Gemeinsam mit den Maskottchen „Hoppel und Bürste“ durchliefen die Kinder einen Bewegungsparcours mit sechs verschiedenen Stationen. Etwa 1.500 Kinder konnten mit dem Bewegungsangebot bereits erreicht werden. Vor allem der Spaß und das Kennenlernen der Trainerinnen und Trainer sowie der Sportplätze der Vereine standen dabei im Vordergrund. Auch die Eltern waren eingeladen, bei den Aktionstagen dabei zu sein und sich über das Angebot der Sportvereine zu informieren.

Prämien für Vereinseintritte

Von April bis Dezember 2022 erhielten alle Sportvereine im Ostalbkreis pro neuem Vereinseintritt eines 3- bis 6-jährigen Kindes eine Prämie von 20 Euro. Die Förderung kann bspw. dafür verwendet werden, die Mitgliedsbeiträge für diese Zielgruppe zu senken oder Investitionen in die Ausbildung der Übungsleiterinnen und Übungsleiter oder in neue Sportgeräte zu tätigen.

Ansprechpartnerin:
Leonie Schönsee (leonie.schoensee@remove-this.ostalbkreis.de

FunFood in Heilbronn

„Wir bringen gesundes Essen in die Familien!“

Seit Dezember 2021 gibt es die FUNFOOD-Mittagessenkisten für Familien in der Heilbronner Nordstadt. Im Rahmen des „P-Netz Nord“, dem Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut des Diakonischen Werks Heilbronn, hat sich die Idee zu diesem Projekt entwickelt. Das P-Netz Nord ist fest verknüpft mit dem Quartierszentrum Nordstadt Mehrgenerationenhaus. Ziel ist es, Freude und Spaß am Kochen sowie gesundes Essen in die Familien zu bringen und durch die Freude am Essen Gemeinschaft zu schaffen, denn Essen verbindet. Ebenfalls soll Gesundheit und Bewegung in den Fokus gerückt werden. 

In der Kiste enthalten ist ein Rezept, die dazu passenden Lebensmittel sowie ein Input zum Thema Ernährung und Gesundheit. Die Familien freuen sich über das Angebot, kommen in Kontakt miteinander, mit den sozialpädagogischen Fachkräften und der Arbeit vor Ort, werden angebunden und dies auf ganz niedrigschwellige Art und Weise. Manche Familien kommen nach vorheriger Anmeldung, manche sind neugierig und kommen spontan zur Ausgabe hinzu. Die meisten kommen immer wieder. Sie erzählen vom Kochen mit ihren Kindern, zeigen Fotos und berichten, dass ihre Kinder Paprika und Reis gegessen haben, obwohl dies nie zuvor der Fall gewesen sei. 

Foto einer Mittagessenskiste

Pro Termin werden mittlerweile 30-40 Essenskisten verteilt; bisher konnten mehr als 150 Familien erreicht werden. Ausgedehnte Sondertermine haben in Verbindung mit Aktionstagen zum Beispiel zum Thema Zucker, Bewegung und Gesundheit stattgefunden.

„Wir erreichen mit diesem Angebot Familien, die bislang nicht erreicht wurden.“

Nicht nur bei den Familien wurde Interesse geweckt, sondern auch bei Kooperationspartnerin-nen und Kooperationspartnern wie den Frühen Hilfen der Stadt Heilbronn, der Heilbronner Tafel und der AOK, die das Projekt mitfinanzieren, unterstützen und gestalten.


Ansprechpartnerinnen:
Tina Wenk (tina.wenk@remove-this.diakonie-heilbronn.de
Andrea Barth (andrea.barth@remove-this.diakonie-heilbronn.de
 

Starke Kinder durch Schwimmen in Tübingen

„Soziale Kompetenz und Schwimmen, hat das etwas miteinander zu tun?“

Schwimmen ist doch „nur“ eine Sportart und dient primär dem Erlernen von neuen Fähigkeiten und der sportlichen Ertüchtigung. Stimmt nur bedingt. Kinder, die einen Schwimmkurs besuchen lernen vielmehr als ausschließlich Schwimmhände, Froschbeine, richtig atmen und sich auf den Rücken drehen. Sie lernen, sich von den Eltern, Bezugspersonen abzulösen, werden selbständiger und lernen, sich in einer Gruppe zu bewegen.

„Als Schwimmlehrkraft (und Sozialpädagogin und Mutter) beobachte ich, wie sich Kinder im Laufe eines Schwimmkurses entwickeln.“

Im Jahr 2015 wurde als Teil des Tübinger Bündnisses für Familie das Angebot „Schwimmen für alle Kinder Tübingen“ eingerichtet. Im selben Jahr starteten die ersten Schwimmkurse, die bis zur Schwimmsicherheit (Bronze) reichen und von ausgebildeten Lehrkräften geleitet werden. Die Kurse richten sich speziell an Familien mit niedrigem Einkommen und sind für diese kostenfrei. Finanziert werden sie u.a. durch die Stadt Tübingen, den Landkreis Tübingen sowie durch Unternehmen, Stiftungen, Bürgerinnen und Bürger etc. Die Nachfrage ist seit Beginn des Angebots konstant hoch. Jährlich nehmen etwa 180 bis 274 Kinder teil; viele weitere Kinder stehen auf der Warteliste.

Der Großteil der Kinder beginnt um den fünften Geburtstag mit dem Schwimmunterricht. Viele haben sich davor schon an Wasserbewegungen gewöhnt, sie kennen die Atmosphäre und die Gegebenheiten in einem Bad. Andere profitieren von denen, die sich schon ein bisschen auskennen. Die Aufgabe der Schwimmlehrkraft ist es, vorhandene Fähigkeiten zu fördern und auszubauen, Ängste abzubauen, viel Spaß zu haben und dafür zu sorgen, dass das Lernklima für alle optimal ist.

„Nicht jedes Kind mag es, wenn das Wasser ins Gesicht spritzt, aber durch die Gruppe (Peers) wird vieles, was zuhause gar nicht möglich ist, plötzlich spaßig und kann ausprobiert werden.“

Die meisten Kinder lieben es, neue Sachen zu versuchen, auch mal mutig zu sein. Kinder haben ihr eigenes Tempo und es ist wichtig, darauf Rücksicht zu nehmen. Der Spaß und die Freude am Lernen, am Ausprobieren, am Element Wasser stehen immer im Vordergrund.

„Ich finde es wichtig, keine „Prüfungstage“ für Schwimmabzeichen zu machen, sondern dem Kind dann, wenn es die erforderlichen Leistungen gebracht hat (oft ohne, dass es das weiß), die Belohnung in Form des Abzeichens zu geben.“

Nicht jedes Kind wird am Ende des Kurses das „Seepferdchen“ geschafft haben, aber alle Kinder sollten die Grundfähigkeiten des Schwimmens erlernen können. Das gilt auch für Kinder mit Behinderungen und Einschränkungen. Sie lernen meist in einem anderen Tempo, das Lernen findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. 

„Kinder stärken durch Sport, durch Gemeinsamkeit, durch Spaß, Erfolgserlebnisse und durch das Vertrauen, dass sie ihr eigenes Tempo setzen können, dass sie gehört und wahrgenommen werden, das macht meiner Meinung nach ‚starke Kinder‘ aus.“

Ansprechpartnerin:
Manuela Sacherer (info@remove-this.schwimmen-fuer-alle-kinder.de
 

Themenfeld 2: Armutssensibilität

Förderung von Armutssensibilität

Armutssensibilität kann als Voraussetzung für eine effektive Armutsprävention betrachtet werden: Durch eine armutssensible Haltung können Problemlagen rund um Armut und damit verbundener Diskriminierung sowie eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten erkannt und fokussiert werden (vgl. Holz 2021b). Auch für die Schritte hin zu einer sozial inklusiven Gesellschaft spielt Armutssensibilität eine wichtige Rolle. Sie kann dazu beitragen, dass Stigmatisierung und Benachteiligung vermieden wird, Hürden für Armutsbetroffene gesenkt werden und Teilhabe aller ermöglicht wird (vgl. Holz 2021b).

Armutssensibilität kann verstanden werden als (vgl. Holz 2021b):

  • Anerkennung und Wertschätzung gegenüber der Lebenssituation armutsgefährdeter Menschen, ihrer Bedürfnisse, ihrer Wahrnehmung und ihrer Art des Umgangs mit Herausforderungen,
  • Anforderung an pädagogische Fachkräfte und (politische) Verantwortungstragende,
  • bedeutsam für das individuelle Handeln, für die Ausgestaltung von Organisationen sowie Strukturen in sozialpolitischer Hinsicht und
  • basierend auf Ideen von solidarischem Handeln und Inklusion sowie der Zielsetzung der Chancengerechtigkeit.

Armutssensibilität lässt sich auf drei Ebenen verorten: auf der individuellen, auf der institutionellen und auf der strukturellen Ebene.

 

1.    Die individuelle Ebene

Fachkräfte können dazu beitragen, dass sich benachteiligende Umstände nicht negativ auf die Teilhabechancen von armutsbedrohten Kindern, Jugendlichen und ihren Familien auswirken . Um als Fach- oder Leitungskraft die eigene Arbeit armutssensibel gestalten zu können, sind auf der individuellen Ebene Kenntnisse aus Wissenschaft und Praxis über Armut und Armutssensibilität wichtig (vgl. Richter-Kornweitz et al. 2022). Darüber hinaus spielt die Fähigkeit zur Selbstreflexion eine wichtige Rolle: Reflektiert werden sollte insbesondere die eigene Haltung gegenüber Armut – auch vor dem Hintergrund des eigenen Lebens und persönlicher Erfahrungen (vgl. Holz 2021a). So sind persönliche Wertvorstellungen und Weltbilder zentral dafür, wie wir mit anderen in Kontakt treten und daher auch grundlegend für eine armutssensible Haltung und Interaktion (vgl. Spanke 2015). Die Grundlage hierfür stellt einen Blick auf Armut dar, der diese nicht mit individuellem Versagen begründet, sondern sie vielmehr als Verstrickung persönlicher Situationen in strukturelle Probleme versteht (vgl. Holz 2021b).

Mögliche Herangehensweise zur Entwicklung einer armutssensiblen Haltung (vgl. AGJ 2017, Hock et al. 2014, Urban/Frohn 2018):

  • Aneignen von Wissen über Armut, ihre Ursachen und Auswirkungen in verschiedenen Lebensbereichen sowie Erlernen von Anzeichen, an denen die Betroffenheit von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien erkennbar ist,
  • Reflektieren der eigenen Haltung, Erfahrungen und Bewertungen in Bezug auf Armut und armutsbedrohte bzw. -betroffene Menschen,
  • Nachdenken über eigenes berufliches Handeln, unbewusstes Ausgrenzen und Stigmatisieren im Arbeitskontext,
  • Bewusstmachen eigener Vorurteile und Stereotype sowie
  • Förderung der eigenen Empathie gegenüber armutsgefährdeten Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern sowie Aneignung einer ressourcenorientierten Perspektive.

 

2.    Die institutionelle Ebene

Auf der institutionellen Ebene gilt es, benachteiligende Lebensumstände in den Prozessen und Strukturen von Organisationen zu berücksichtigen (vgl. Holz 2021a). In diesem Rahmen wird Armutssensibilität in den Zielen und (pädagogischen) Konzepten einer Einrichtung verankert und Barrieren für Zielgruppen reflektiert (vgl. Richter-Kornweitz et al. 2022). Es geht daher nicht in erster Linie darum, gesonderte Angebote für armutsbedrohte Menschen zu schaffen, sondern vielmehr darum, vorhandene Angebote auf ihre Barrieren hin zu prüfen und entsprechend armutssensibel umzugestalten (vgl. Holz 2021b). 

Wie facettenreich diese Zielsetzung in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen sein kann, wird in der Handreichung „Armut (k)ein Thema für Alle“ des Präventionsnetzwerks Ortenaukreis ersichtlich (vgl. PNO 2021):

Im Bereich der Krippe und Kita bedeutet Armutssensibilität insbesondere, Kindern eine Bezugsperson zur Verfügung zu stellen, zu der eine sichere Bindung aufgebaut werden kann. Es geht auch darum, Aktivitäten nach den individuellen Bedürfnissen von Kindern auszurichten und den Eltern anerkennend und auf Augenhöhe zu begegnen.

Im schulischen Bereich steht die Begleitung und Förderung der kognitiven Entwicklung des Kindes im Fokus. Es geht dabei auch um den Ausgleich von Nachteilen, die sich aus Armutserfahrungen ergeben, etwa in Bezug auf die materielle Versorgung, in Bezug auf soziale Netzwerke und soziale Kompetenzen oder in Bezug auf die Gesundheitsförderung.

Freizeitaktivitäten armutssensibel zu gestalten, bedeutet beispielsweise

  • bei entstehenden Kosten für Mitgliedsbeiträge, Ausstattung oder Fahrten armutsbetroffene Familien mitzudenken,
  • Informationen niedrigschwellig anzubieten,
  • vernetzt mit anderen Institutionen und Engagierten zu arbeiten,
  • Vielfalt wertschätzend zu begegnen,

so dass armutsbetroffene Kinder nicht vom wichtigen sozialen Miteinander in der Peergroup ausgeschlossen werden.

Mögliche Herangehensweise zur Entwicklung einer institutionellen Armutssensibilität (vgl. Spanke 2015, Keßel 2020):

Organisationen können eine armutssensible Arbeitsweise in ihren Handlungsfeldern fördern, indem sie ihren Mitarbeitenden Raum zur Selbstreflexion, zur kollegialen Beratung und zur Teilnahme an Weiterbildungen zusichern.

Im Mitarbeitendenkreis könnte zum Beispiel gemeinsam reflektiert werden, in welchen Situationen und auf welche Weise den Fachkräften Kinderarmut begegnet und wie sie damit umgehen. Darüber hinaus kann im Hinblick auf die vorhandenen Prozesse, Strukturen und Konzepte in der jeweiligen Einrichtung gemeinsam überlegt werden, inwiefern diese die Teilhabe von armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen erschweren und Stigmatisierung reproduzieren.

Für armutsbetroffene Familien stellen zusätzlich anfallende Kosten für Freizeitaktivitäten der Kinder oder Materialkosten für die Teilnahme der Kinder an Angeboten eine große Herausforderung dar. Gleichzeitig möchten viele Eltern ihre finanzielle Situation nicht offenlegen um Stigmatisierung insbesondere ihrer Kinder zu vermeiden. Ausleih-, Verschenk- oder Tauschmöglichkeiten in einer Einrichtung zu etablieren, die für alle offenstehen, beispielsweise für gut erhaltene Kleidung, Bücher oder Spielsachen, kann in solchen Situationen eine Unterstützung bieten.

Als weiteres Beispiel kann die armutssensible Gesprächsführung mit Kindern genannt werden, die in pädagogischen Einrichtungen gefördert werden kann. Dazu ist Folgendes zu beachten: Bei verschiedenen Themen können sozioökonomische Verhältnisse der Familie unbeabsichtigt offengelegt werden. Für Kinder, die in prekären Verhältnissen aufwachsen, kann dies zu Beschämungserfahrungen führen. Daher empfiehlt es sich, Fragen nach der Lebenswelt von Kindern möglichst von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern zu lösen. Das könnte beispielsweise dadurch umgesetzt werden, dass im Morgenkreis einer Kita nicht nach konkreten Erlebnissen in der Freizeit gefragt wird, sondern nach persönlichen Highlights. So kommt ein Kind zum Beispiel nicht in die Situation sagen zu müssen, dass es am Wochenende keinen Ausflug mit seiner Familie gemacht hat, sondern kann davon berichten, dass es sich besonders über das gemeinsame Spielen mit seinen Geschwistern gefreut hat. Ähnlich können Fragen darüber gestaltet werden, wie die Ferien verbracht oder der eigene Geburtstag gefeiert wurde.

 

3.    Die strukturelle Ebene

Auf der strukturellen Ebene werden Rahmenbedingungen fokussiert, die Armut und ihren Konsequenzen entgegentreten. Dabei ist insbesondere der Ort von Bedeutung, wo Menschen leben und wo der Alltag stattfindet, also der Stadtteil und das Quartier (vgl. Holz 2021a). Hierbei kommen Präventionsnetzwerken gegen Kinderarmut eine besondere Bedeutung zu. (Pädagogische) Fachkräfte und Organisationen benötigen Netzwerke, da sie alleine in ihrem Einsatz gegen Kinderarmut und deren Folgen schnell an ihre Grenzen kommen. Im Sinne der Ressourcenorientierung ist es zielführender, im Verbund mit anderen Akteurinnen und Akteuren, Trägern und Hilfesystemen nach Lösungen zu suchen, gemeinsam und systematisch vorhandene Strukturen und Unterstützungsmöglichkeiten anhand einer visualisierten Präventionskette zu reflektieren und bei Bedarf weitere Angebote zu schaffen und armutssensibel weiterzuentwickeln, um Präventionslücken zu schließen (vgl. Urban/Frohn 2018).

Mögliche Herangehensweise zur armutssensiblen Gestaltung von Strukturen:

Zur Reflexion vorhandener Strukturen und Angebote können folgende Fragen herangezogen werden (vgl. Richter-Kornweitz et al. 2022):

  • Wie können verschiedene Akteurinnen und Akteure, Ressorts, Träger und Netzwerke enger zusammenarbeiten?
  • Inwiefern können Unterstützungssysteme und -angebote besser aufeinander abgestimmt werden?
  • Wie kann die niedrigschwellige Erreichbarkeit von Informationen, Beratung und Angeboten gestärkt werden?
  • Wie können bürokratische Hürden weiter abgebaut werden?


In der Broschüre „Strategien gegen Armut. Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut und für Kindergesundheit“  (2020) werden folgende Schritte vorgeschlagen, um ein Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut verstärkt armutssensibel auszurichten:

  • Um Kooperationsorganisationen und die Fachöffentlichkeit zu sensibilisieren, sollte ein breites Verständnis von Kinderarmut herangezogen werden, welches unterschiedliche Bereiche der Lebenswelt im Sinne des Lebenslagenansatzes in den Blick nimmt. Das zu erarbeitende Armutsverständnis kann sich auf empirische Daten, auch für den ausgewählten Sozialraum, beziehen.
  • Gremienarbeit und Fachtage können dazu beitragen, die Relevanz der Netzwerkarbeit und ihrer armutssensiblen Gestaltung zu verdeutlichen.
  • Um Zielgruppen besser zu erreichen, kann auf einen eigenen oder den kommunalen Internetauftritt, Informationsveranstaltungen, Social Media, aufsuchende Ansprache, Familienpatenschaften und ausgebildete Ansprechpersonen im Rahmen eines Lotsensystems zurückgegriffen werden. Bei der Nutzung von Medien sollte darauf geachtet werden, dass Öffentlichkeitsarbeit die Zielgruppe nicht weiter stigmatisiert. Sinnvoll kann auch sein, Informationen in verschiedenen Sprachen und in leichter Sprache zur Verfügung zu stellen.
  • Die Integration von Angeboten in den Alltag der Zielgruppen, etwa durch die Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen, kann ein wichtiger Baustein sein, um armutssensible Strukturen zu schaffen. Vertrauenspersonen aus dem Umfeld der Kinder und Jugendlichen können als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dazu beitragen, Zielgruppen zu erreichen.
  • Für den Abbau von Zugangsbarrieren sollte herausgearbeitet werden, welche konkreten Aspekte die Teilhabe einschränken. Angebote sollten grundsätzlich kostenlos, gut erreichbar, flexibel wahrnehmbar und unter Beteiligung der Zielgruppen geplant und gestaltet werden. Hierzu können beispielsweise Befragungen eingesetzt werden. Wenn sich Zielgruppen aktiv in die Planung und Gestaltung während der Durchführung der Angebote einbringen können, sind diese oft näher an den Bedürfnissen der Kinder, Jugendlichen und ihren Eltern ausgerichtet. Beachten sollte man, dass man für eine partizipativ ausgerichtete Planung und Gestaltung genügend Zeit einplanen muss.
  • Um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, können besondere Aktionen durchgeführt werden, die die Aufmerksamkeit im Quartier bzw. Sozialraum auf. Dabei können auch bekannte lokale (politische) Persönlichkeiten involviert werden. Neben Aktionswochen in auf das Thema Armut lenken. Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Einrichtungen, Informationsveranstaltungen und -filmen oder Vortragsreihen kann dies auch ein Stand auf dem örtlichen Wochenmarkt sein. Auch die (regelmäßige) Zusammenarbeit mit der regionalen Presse kann hilfreich sein, um Armutssensibilität zu fördern und gleichzeitig das Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut und seine Arbeit bekannter zu machen.

 

Literatur

Zur Erstellung des Textes wurde die folgende Literatur verwendet. Diese kann auch zur persönlichen Einarbeitung in das Themenfeld dienen.

Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) (2017). „Armut nicht vererben – Bildungschancen verwirklichen – soziale Ungleichheit abbauen! Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht: Konsequenzen und Herausforderungen für die Kinder-und Jugendhilfe“ Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ. Verfügbar unter: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2017/Armut_nicht_vererben.pdf [29.12.2022].

Hock, B., Holz, G. & Kopplow, M. (2014): Kinder in Armutslagen. Grundlagen für armutssensibles Handeln in der Kindertagesbetreuung. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 38. Verfügbar unter: https://www.weiterbildungsinitiative.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Expertise_38_Kinder_in_Armut.pdf [29.12.2022].

Holz, G. (2021a). Armutssensibles Handeln in der Kita-Praxis: Theoretische Rahmung. In Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. (Hrsg.), Armutssensibles Handeln in Kindertageseinrichtungen: Zwischenergebnisse und Impulse aus dem Modellprojekt „Zukunft früh sichern!“ (S. 39-44). Verfügbar unter: https://www.iss-ffm.de/fileadmin/assets/veroeffentlichungen/downloads/ZuSi-Armutssensibles_Handeln_in_Kindertageseinrichtungen.pdf [30.11.2022].

Holz, G. (2021b). Stärkung von Armutssensibilität: Ein Basiselement individueller und struktureller Armutsprävention für junge Menschen. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie & Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. Verfügbar unter: https://www.berlin.de/sen/jugend/jugend-und-familienpolitik/familienpolitik/kinder-und-familienarmut/staerkung-von-armutssensibilitat.pdf [30.11.2022].

Keßel, P. (2020). Was bedeutet armutssensibles Handeln? Verfügbar unter: https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=903:was-bedeutet-armutssensibles-handeln&catid=48 [28.12.2022].

Präventionsnetzwerk Ortenaukreis (PNO) (2021). Handreichung "Armut (k)ein Thema für Alle". Verfügbar unter: https://www.pno-ortenau.de/Startseite/Handreichung-Armut-k-ein-Thema-f%C3%BCr-Alle-.php?object=tx,2.5&ModID=7&FID=2565.2865.1 [29.12.2022].

Richter-Kornweitz, A., Schluck, S., Petras, K., Humrich, W. & Kruse, C. (2022). Präventionsketten konkret!:  Ein kompetenzorientiertes Handbuch zur Koordination von integrierten kommunalen Strategien. Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., Landeskoordinierungsstelle „Präventionsketten Niedersachsen“ Verfügbar unter: https://www.praeventionsketten-nds.de/fileadmin/media/downloads/Handbuch/Handbuch_Pra%CC%88ventionsketten_konkret.pdf [28.12.2022].

Spanke, C. (2015). Armutssensibles Handeln in den Kommunen Das Förderprogramm „Teilhabe ermöglichen – Kommunale Netzwerke gegen Kinderarmut“. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, (2015) 8, S. 42-45. Verfügbar unter: https://www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/service/arbeitshilfen/dokumente_94/jugend_mter_1/koordinationsstelle_kinderarmut/FirstSpirit_1467363160514TPS_Armutssensibles_Handeln_in_den_Kommunen.pdf [29.12.2022].

Urban, S. & Frohn, H. (2018). Armutssensibles Handeln von pädagogischen Fachkräften. KiTa Aktuell ND, 2-2018, S. 28-31. Verfügbar unter: https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=764:armutssensibles-handeln-von-paedagogischen-fachkraeften&catid=48 [29.12.2022].

Arbeitshilfen zur Förderung von Armutssensibilität

Armutssensibilität und Partizipation sind zentrale Leitlinien der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut. Nur wenn Angebote armutssensibel gestaltet sind und aktive Beteiligung möglich ist, kann es gut gelingen, armutsgefährdete Kinder und Jugendliche zu erreichen. Akzeptanz und die Annahme von Unterstützungsangeboten können so gesteigert werden. Praxisorientierte Texte in der im Auftrag des baden-württembergischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration veröffentlichten Broschüre zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, Armutssensibilität und Partizipation in der Arbeit mit armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien zu realisieren und welche relevanten Punkte dabei zu beachten sind. Ergänzt werden diese Texte durch ausführliche Beispiele aus den Präventionsnetzwerken gegen Kinderarmut, die zeigen, wie eine konkrete Umsetzung in der praktischen Arbeit gut gelingen kann. Die Broschüre steht hier zur Verfügung.

Darüber hinaus bieten folgende Publikationen Hilfestellungen für die Bearbeitung des Themenbereichs:

Zu Themenfeld 2: Berichte aus der Praxis der Standorte

Podcast und Fortbildungsbaustein zu Armutssensibilität im Ortenaukreis

Podcast und Fortbildungsbaustein zu Armutssensibilität im Ortenaukreis 

Das Präventionsnetzwerk Ortenaukreis möchte mit seinem Podcast für verschiedene Aspekte der Kinderarmut und ihrer Prävention sensibilisieren. In jeder Folge werden verschiedene Themenschwerpunkte in den Blick genommen, zum Beispiel „Umgang mit herausforderndem Verhalten“, „ECHT DABEI - Gesund groß werden im digitalen Zeitalter“ oder „Pädagogisches Handeln mit geflüchteten Kindern und Familien“, sodass eine große inhaltliche Bandbreite für die interessierte (Fach-)Öffentlichkeit entstanden ist. Der Podcast steht unter folgendem Link zur Verfügung.

> Zum Podcast 

Neben dem Podcast hat der Ortenaukreis auch einen Fortbildungsbaustein im Rahmen der Organisationsentwicklung von Kitas und Schulen zu armutssensiblem Handeln erstellt und die Handreichung „Armut (k)ein Thema für alle?! – Armutssensibles Handeln als Beitrag zur Gesundheitsförderung für Kinder bis 10 Jahre im Ortenaukreis“ veröffentlicht. In vier Heften werden Grundlagen zum Thema beleuchtet und es wird der Frage nachgegangen, wie armutssensibles Handeln im Kontext pädagogischer Einrichtungen für Kinder im Alter von bis zu zehn Jahren aussehen kann, wobei die Krippe bzw. Kita, die Schule bzw. der Hort sowie außerschulische Freizeitangebote fokussiert werden.

> Zum Fortbildungsbaustein Armutssensibilität 

Ansprechpartner:
Claude Henri Becsangèle (pno.kehl@remove-this.ortenaukreis.de)
 

Themenfeld 3: Freizeit & Bildung

Förderung von Freizeitengagement und Bildungschancen

Für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist es grundlegend, dass sie ihre Freizeit nach eigenen Wünschen gestalten, an außerunterrichtlichen Angeboten teilnehmen und somit am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das macht auch der Bericht „Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg“ (2021) des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg deutlich. Die soziale Integration steht dem Bericht zufolge auch mit der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Verbindung. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist geringer, wenn sich diese unzureichend sozial integriert fühlen. Umgekehrt steigt die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen mit ihrer sozialen Integration. Beide Dimensionen sind dem Bericht zufolge für die Entwicklung von Selbstbewusstsein und sozialen Kompetenzen bedeutsam.

Es bestehen bei Teilhabe an kulturellen, musikalischen und sportbezogenen Angeboten deutliche Unterschiede nach der besuchten Schulart. Nach Ergebnissen der repräsentativen Jugendstudie Baden-Württemberg 2020 gaben über 80 Prozent der gymnasialen Schülerinnen und Schüler an, wenigstens einmal im Jahr eine kulturelle Einrichtung zu besuchen. Dies gilt demgegenüber nur für knapp 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Haupt- und Werkrealschulen. Der Besuch kultureller Einrichtungen unterscheidet sich auch nach der familiären Migrationsgeschichte. Jugendliche, deren beide Elternteile in Deutschland geboren wurden, gaben zu knapp 74 Prozent an, kulturelle Einrichtungen zu besuchen. Für Jugendliche mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil liegt dieser Wert bei 59 Prozent, was unter anderem auf finanzielle Aspekte zurückgeführt wird. Auch das Erlernen eines Musikinstruments erfolgt in Abhängigkeit der Schulart unterschiedlich häufig: Während etwa 49 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten angaben, ein Instrument zu spielen, gilt dies nur für knapp 19 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Haupt- und Werkrealschulen. Dieser Unterschied wird unter Bezugnahme auf die Studie „Jugend und Musik“ der Bertelsmann Stiftung auch mit der sozioökonomischen Situation des Elternhauses begründet. 

Auch der Bericht „Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche“ der Bertelsmann Stiftung kommt unter Betrachtung mehrerer Studien zu dem Ergebnis, dass armutsgefährdete bzw. -betroffene Kinder und Jugendliche deutlich seltener an kostenpflichtigen Angeboten aus den Bereichen Kultur, Freizeit und non-formaler bzw. informeller Bildung teilnehmen als Gleichaltrige. Die Autorinnen schlussfolgern, dass sich so auch die Bildungsbenachteiligung dieser Gruppe vergrößert.

 

Informationen zu staatlichen Unterstützungsleistungen

Wie bereits deutlich wurde, können finanzielle Aspekte eine Barriere für die Teilhabe junger Menschen darstellen. Um allen Kindern und Jugendlichen ein breites Freizeit-, Sport- und Kulturangebot zu ermöglichen, gibt es mehrere Fördermöglichkeiten. Über das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) des Bundes können beispielsweise Kosten für eine Vereinsmitgliedschaft, Nachhilfe oder Instrumente bezuschusst bzw. erstattet werden. Dies erfolgt durch Geldleistungen oder die Ausstellung von Gutscheinen durch die jeweilige Stadt oder Gemeinde. Familien, die Bürgergeld oder den Kinderzuschlag beziehen, haben Anspruch auf das sogenannte Bildungspaket, wenn ihr Kind unter 25 Jahre alt ist, eine Kita oder Schule besucht und keine Vergütung im Rahmen der Ausbildung erhält.

Eine weitere Unterstützung von Familien ist der Landesfamilienpass des Landes Baden-Württemberg. Mit dem Landesfamilienpass und der zugehörigen Gutscheinkarte können Familien kostenfrei oder vergünstigt zahlreiche Museen, Schlösser und Gärten im Land besuchen. Der Pass kann beim Bürgermeisteramt beantragt werden. Antragsberechtigt sind Familien mit mindestens drei kindergeldberechtigenden Kindern, Familien mit mindestens einem kindergeldberechtigenden schwer behinderten Kind, alleinerziehende Eltern kindergeldberechtigender Kinder, Familien, die kinderzuschlags-, wohngeld- oder bürgergeldberechtigt sind sowie Familien, die Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. 

 

Literatur

Zur Erstellung des Textes wurde die folgende Literatur verwendet. Diese kann auch zur persönlichen Einarbeitung in das Themenfeld dienen.

Antes, W., Gaedicke, V., & Schiffers, B. (2020). Jugendstudie Baden-Württemberg 2020: Die Ergebnisse von 2011 bis 2020 im Vergleich und die Stellungnahme des 13. Landesschülerbeirats. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler. Verfügbar unter: https://km-bw.de/site/pbs-bw-km-root/get/documents_E1850112525/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/KM-Homepage/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen%202020/Jugendstudie_2020_200629_Onlineversion%20final.pdf [30.05.2023].

Bundesagentur für Arbeit (2023). Leistungen für Bildung und Teilhabe. Verfügbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/familie-und-kinder/informationen-zum-bildungspaket [30.05.2023].

Laubstein, C., Holz, G., & Seddig, N. (2016). Armutsfolgen für Kinder und Jugendliche: Erkenntnisse aus empirischen Studien in Deutschland. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh. Verfügbar unter: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_WB_Armutsfolgen_fuer_Kinder_und_Jugendliche_2016.pdf [30.05.2023].

Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg (o. D.). Landesfamilienpass: Viele Ausflugsmöglichkeiten für wenig Geld. Verfügbar unter: https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/index.php?id=8340 [30.05.2023].

Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg (2021). Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart. Verfügbar unter: https://www.statistik-bw.de/FaFo/Publikationen/TeilhChanKiJu.pdf [30.05.2023].

Zu Themenfeld 3: Berichte aus der Praxis der Standorte

Tübinger KreisBonusCard

Der Landkreis Tübingen unterstützt Einwohnerinnen und Einwohner des Landkreises, die Sozialleistungen beziehen, mit der sogenannten KreisBonusCard. Speziell für junge Menschen gibt es außerdem die KreisBonusCard Junior. Sie kann beim Landratsamt beantragt werden und bietet Ermäßigungen und kostenfreie Angebote in vielen Lebensbereichen: Neben gebührenfreien Sportvereinsmitgliedschaften oder Ermäßigungen für kulturelle Angebote stehen Kindern und Jugendlichen mit der KreisBonusCard Junior zahlreiche Möglichkeiten offen, ihre Freizeit zu gestalten. Für Familien mit einem Einkommen knapp über der Grenze für einen Sozialleistungsbezug gibt es außerdem die KreisBonusCard extra, die bei verschiedenen Beratungsstellen beantragt werden kann. Hiermit stehen die Angebote der KreisBonusCard sowie ein ermäßigtes Mittagessen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung, die Tübinger Kitas oder Schulen besuchen.

Singener KiJuKarte

In Singen startete 2019 ein ähnliches Projekt. Mit der KiJuKarte soll allen Kindern und Jugendlichen die Teilhabe an Freizeit, Sport, Musik und Kultur ermöglicht werden. Es werden über 200 verschiedene Angebote von über 70 Institutionen entweder stark ermäßigt oder kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dazu gehören beispielsweise Schwimmbadbesuche, Kletterfreizeiten oder der öffentliche Personennahverkehr. Die KiJu-Karte wird dezentral an mehreren Stellen ausgegeben und richtet sich an Singener Kinder, deren Eltern Sozialleistungen beziehen.

Informationskampagne und Handreichung aus dem Präventionsnetzwerk Ortenaukreis

Vor dem Hintergrund einer geringen Inanspruchnahme der Leistungen aus dem BuT durch die Berechtigten verfolgte das Präventionsnetzwerk Ortenaukreis das Ziel, durch eine Informationskampagne zum BuT seine Bekanntheit zu steigern. Dafür wurden zwei Kurzfilme gedreht; ein Film richtet sich direkt an Familien, ein weiterer Film adressiert Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die beispielsweise an Schulen oder Kindertageseinrichtungen tätig sind. Außerdem wurden ein Flyer und ein Plakat entworfen, um die Fördermöglichkeiten transparent zu machen (siehe auch hier).

Darüber hinaus spielt auch die armutssensible Gestaltung von Angeboten und organisationalen Strukturen eine wichtige Rolle für die Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen, die in Themenfeld 2 näher beleuchtet wurde. Damit verbundene Aspekte werden in der Handreichung „Armut (k)ein Thema für alle?! Armutssensibles Handeln als Beitrag zur Gesundheitsförderung für Kinder bis 10 Jahre im Ortenaukreis“, insbesondere in Heft 4 „Handlungsorientierung Freizeitaktivitäten außerhalb von Krippe, Kita, Schule und Hort“, des Präventionsnetzwerks Ortenaukreis thematisiert. Darin wird betont, dass Familien mit geringem Einkommen bezüglich anfallender Beiträge beispielsweise für Ausstattung, Kleidung oder Mobilität mitgedacht werden müssen. Informationen hierzu sollten transparent kommuniziert werden und auch in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit mit Eltern auf Wertschätzung, Offenheit und Ressourcen- statt Defizitorientierung beruhen.

Mittagessen und Freizeitangebote in Mannheim

Der „Campus Neckarstadt-West“ in Mannheim bietet zahlreiche Angebote der Freizeitgestaltung für Grundschülerinnen und -schüler. Kinder haben hier die Möglichkeit, nach der Schule ein gesundes, warmes Mittagessen zu erhalten und anschließend bei den Hausaufgaben unterstützt zu werden. Bis 17 Uhr steht ihnen dann ein breites Betreuungs-, Bildungs- und Freizeitangebot zur Verfügung, das sie nach eigenen Wünschen und in Abstimmung mit den Eltern sowie dem pädagogischen Personal gestalten können. Dazu gehört beispielsweise Lesen, Spielen, Sport oder Musik. Das Angebot ist dabei kostenfrei und steht allen Kindern offen.

Themenfeld 4: Lotsensysteme

Aufbau von Lotsensystemen

Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut stehen vor der Herausforderung, dass manche Kinder, Jugendliche und ihre Familien mit vorhandenen Angeboten nur schwer erreicht werden können. Auch die Forschung zeigt, dass besonders Familien in belastenden Lebenssituationen weniger als andere Familien über vorhandene Informationsquellen und Beratungsangebote Bescheid wissen und diese auch seltener in Anspruch nehmen (Hilke/Jasper 2019: 3). Daher stellt sich die Frage, wie Informationen über vorhandene Angebote leichter zugänglich gemacht werden können und diese von den Adressatinnen und Adressaten auch stärker genutzt werden.

Ein Ansatz, um bessere Zugänge und Informationswege zu schaffen, sodass insbesondere auch armutsgefährdete und -betroffene Familien von diesen profitieren können, ist die Einrichtung von Lotsensystemen. Lotsensysteme sollen dazu beitragen, Bedarfe zu erkennen, Informationen über vorhandene, den Bedarfen entsprechende Beratungs- oder Unterstützungsangebote aus verschiedenen Systemen und Trägerschaften an Familien weiterzugeben, ihren Nutzen zu erklären und an andere Anlaufstellen zu vermitteln (ebd.). Mit einer solchen Informationsbündelung und Vernetzung verschiedener Hilfesysteme im Rahmen eines Lotsensystems kann effektiver und effizienter an das richtige Angebot vermittelt werden (Deffte et al. 2018: 9).

Familien stehen häufig wiederkehrend und langfristig in Kontakt mit Einrichtungen des Betreuungs- und Schulwesens sowie des Gesundheitssystems. Über solche Institutionen und offene Anlaufstellen können Informationen zu weiteren Stellen und Angeboten an viele Familien weitergegeben werden. Häufig vertrauen Eltern den ihnen bekannten Fachkräften, was die Hürde, eine Empfehlung anzunehmen, senken kann (ebd.: 24). Vor diesem Hintergrund eignen sich solche Institutionen dazu, eine Lotsenfunktion einzunehmen. Das Gesundheitswesen wird beispielsweise weniger mit Stigmatisierung assoziiert als das Jugendamt, weshalb es eine wichtige Rolle im Rahmen eines Lotsensystems einnehmen kann (ebd.: 9). Etwa über eine offene Sprechstunde der Kinder- und Jugendhilfe in einer Kinderarztpraxis können Familien feinfühlig angesprochen, beraten und über Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten informiert werden (ebd.). Auch Familienbesuche (auch Willkommensbesuche genannt) sind ein wichtiges präventives und niedrigschwelliges Angebot und übernehmen eine Lotsenfunktion für Familien. Sie geben allen Eltern mit Neugeborenen die nötige Unterstützung, indem kompetente Ansprechpersonen die Eltern über passende Angebote oder die richtigen Anlaufstellen in der Kommune und im Land persönlich informieren.

Lotsensysteme können auch über andere Wege errichtet werden. Zwei Beispiele aus Lörrach und Tübingen mit unterschiedlichen Herangehensweisen finden sich weiter unten.

Eine Hilfestellung bei der Entwicklung eines Lotsensystems bietet die Veröffentlichung „Analyseinstrument zum systematischen Aufbau von Lotsensystemen“ des Präventionskettenprogramms Nordrhein-Westfahlen und des ISA e.V. in Münster. 

 

Literatur

Zur Erstellung des Textes wurde die folgende Literatur verwendet. Diese kann auch zur persönlichen Einarbeitung in das Themenfeld dienen.

Deffte, V., Frühling, E.-M., & Stolz, H.-J. (2020). Qualitätsrahmen kommunale Gesamtstrategie: Gelingendes Aufwachsen ermöglichen. Servicestelle Prävention „kinderstark – NRW schafft Chancen“. Verfügbar unter: https://www.kinderstark.nrw/fileadmin/user_upload/Praxishandreichungen/ISA_09393_Broschuere_Web_RZ.pdf [02.06.2023].

Deffte, V, Kohlscheen, J., Köhler, S., & Hartlieb, J. (2018). Entwicklungsgruppe: Einbindung des Gesundheitswesens in die kommunalen Präventionsketten. ISA. Verfügbar unter: https://www.kinderstark.nrw/fileadmin/user_upload/Fachmagazin/Gesundheitswesen_WEB.pdf [02.06.2023].

FamilienForschung Baden-Württemberg (2022). Aktionsprogramm „Familienbesucher“. Verfügbar unter: https://www.statistik-bw.de/FaFo/Management/Familienbesucher.jsp [07.06.2023].

Hilke, M. & Jasper, C. M. (2019). Analyseinstrument zum systematischen Aufbau von Lotsensystemen. ISA. Verfügbar unter: https://www.kinderstark.nrw/fileadmin/user_upload/Fachmagazin/ANALYSEINSTRUMENT_gesamt_Prozessdiagramm_und_Leitfaden_WEB.pdf [02.06.2023].
 

Zu Themenfeld 4: Berichte aus der Praxis der Standorte

Präventionslotsinnen im Landkreis Lörrach

Das Angebot des Präventionsnetzwerks im Landkreis Lörrach setzt sich aus drei zentralen Bausteinen zusammen. Dazu gehören Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, heilpädagogische Angebote in Kitas und ein Lotsensystem. Das Lotsensystem im Landkreis Lörrach besteht aus drei Präventionslotsinnen, die für unterschiedliche Regionen im Landkreis zuständig sind und ist an die Kitas in der entsprechenden Region angebunden. Es zielt darauf ab, den Zugang zu vorhandenen Angeboten zu verbessern. 

Die Präventionslotsinnen sind Ansprechpartnerinnen für Familien, Kitas und andere Akteurinnen und Akteure und können Familien bei individuellen Fragen und Herausforderungen unterstützen, die über die Möglichkeiten der Kita hinausgehen. Sie informieren Familien über Hilfestellungen, Beratungsmöglichkeiten und weitere Angebote unterschiedlicher Träger. Dabei beraten sie individuell und an den jeweiligen Ressourcen der Familien orientiert. Die Präventionslotsinnen sind niedrigschwellig und über verschiedene Wege erreichbar, unterliegen der Schweigepflicht und begleiten die Weitervermittlung an andere Stellen bedarfsorientiert. Beispielsweise kann auch bei der Beantragung von Leistungen unterstützt werden.

So sollen vorhandene Angebote bekannter werden und Familien die passende Unterstützung erhalten. Kinder können etwa durch eine Sprachförderung oder eine medizinisch-therapeutische Hilfe profitieren, auch wenn ein solches Angebot den Eltern zuvor nicht bekannt oder aufgrund anderer Barrieren nicht zugänglich war. Insbesondere bei komplexen Problemlagen oder familiären Mehrfachbelastungen zeigen sich die Vorteile einer system- und trägerübergreifenden Informations- und Beratungsmöglichkeit durch die Präventionslotsinnen. Über das Lotsensystem wird auch über Flyer an verschiedenen Stellen informiert, etwa in medizinischen Praxen oder Kitas. Das Angebot der Präventionslotsinnen ist freiwillig und kostenfrei. 
 

Tübinger AnsprechPersonen (TAPs) für Kinderarmut und Kinderchancen

Das Netzwerk TAPs wurde 2015 durch die Arbeitsgruppe „Runder Tisch Kinderarmut" des Bündnisses für Familie und der Stadt Tübingen gegründet. Im Rahmen einer Studie wurde deutlich, dass viele armutsgefährdete und -betroffene Familien vorhandene Unterstützungsangebote nicht kennen. Daher wurde ein Lotsensystem entwickelt, mit dem relevante Informationen über Multiplikatorinnen und Multiplikatoren an Familien weitergegeben werden sollen. Hierzu wurden Personen, die im Rahmen ihrer hauptberuflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit in Kontakt mit jungen Menschen bzw. Familien stehen, zu bundesweiten und regionalen Unterstützungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe geschult. 

Das Netzwerk gewinnt fortlaufend neue Mitglieder, sodass inzwischen über 200 TAPs Familien informieren und beraten können und so dazu beitragen, dass der Zugang zu Angeboten verbessert wird. Darüber hinaus können TAPS durch den direkten Kontakt zu Familien vorhandene Bedarfe erfassen und diese über die Koordinationsstelle Kinderchancen in den Runden Tisch Kinderarmut weitergeben. Die Koordinationsstelle Kinderchancen bietet für die TAPs regelmäßige Austauschtreffen, Impulse, Rundmails und Workshops an, sodass sie stets über aktuelle Entwicklungen informiert sind. Außerdem unterstützt sie Institutionen bei der Entwicklung hin zu einer armutssensiblen Organisation.

Themenfeld 5: Familienpatenschaften

Unterstützung durch Familienpatenschaften

Eine Möglichkeit, Familien zu unterstützen, sind Familienpatenschaften. Familienpatinnen und -paten sind Ehrenamtliche, die Eltern im manchmal herausfordernden Alltag entlasten. Für Familien, die nicht über ausreichende Netzwerke verfügen, armutsbetroffen sind oder sich in anderen belastenden Lebenssituationen befinden, kann eine solche Unterstützung besonders wertvoll sein. Familienpatinnen und -paten begleiten Familien meist einige Stunden pro Woche und helfen niedrigschwellig im Alltag – je nach individuellem Bedarf der Familie. Das kann die Freizeitgestaltung mit Kindern, die Begleitung zu Arztpraxen und Behörden oder die Hilfe beim Einkaufen und Kochen sein. Von der ehrenamtlichen Unterstützung profitieren auch die Kinder der Familie, etwa, wenn ihre Eltern Zeit zur Erholung finden oder die Familienpatin bzw. der Familienpate besondere Freizeitaktivitäten ermöglicht. Selbstverständlich ist die Familienpatenschaft aber kein Ersatz für professionelle Hilfsangebote.

Das „Netzwerk Familienpatinnen und Familienpaten Baden-Württemberg“ ist ein Zusammenschluss aus Wohlfahrtsverbänden und öffentlichen Akteuren, welches sich landesweit für die Unterstützung von Familien durch Familienpatenschaften und die Entwicklung von Qualitätsstandards in diesem Bereich einsetzt. Es wird seit 2013 vom Deutschen Kinderschutzbund Landesverband Baden-Württemberg koordiniert. In einem kurzen Film des Netzwerks, der auch in weiteren Sprachen zur Verfügung steht, wird das Konzept der Familienpatenschaft erklärt. Dabei liegt der Fokus auf dem Bereich der Frühen Hilfen, die Familien mit Kindern bis drei Jahren stärken. An zahlreichen Standorten werden durch Koordinationsstellen Familienpatinnen und -paten vermittelt. Vor dem Start ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten werden diese geschult, auch im Bereich der Ersten Hilfe. Für alle Beteiligten ist das Projekt meist ein großer Gewinn, was auch in Interviews mit Eltern und ehrenamtlichen Familienpatinnen und -paten deutlich wird.
 

Zu Themenfeld 5: Berichte aus der Praxis der Standorte

Familienpatenschaften (Plus) in Schorndorf

In Schorndorf gibt es Familienpatenschaften. Das Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut „Mach´ Dich schlau und stark! – Verbesserung von Teilhabe und Bildungsperspektiven von Kindern und Jugendlichen in Schorndorf“ erweitert das klassische Angebot der Familienpatenschaften, das an die Frühen Hilfen geknüpft ist. So profitieren auch Familien mit Kindern, die älter als drei Jahre sind.

Um das Projekt in Schorndorf umzusetzen, wurde in einer Arbeitsgruppe ein Konzept entwickelt, die aus Mitgliedern des Deutschen Kinderschutzbundes Kreisverband Schorndorf/Waiblingen, des Familienzentrums/Mehrgenerationenhauses, des KidsTreffs Wendepunkt und der Stadtverwaltung Schorndorf bestand. Die Verantwortlichen des Präventionsnetzwerks besuchten Schulungen beim Netzwerk für Familienpatinnen und Familienpaten Baden-Württemberg, um die Familienpatenschaften künftig koordinieren und begleiten zu können. Zudem wurden sie Teil des Netzwerks für Familienpatinnen und Familienpaten, das sich alle sechs Wochen zum Austausch über die eigene Arbeit trifft.

Inzwischen wird das Familienpatenschaftsprogramm in Schorndorf erfolgreich umgesetzt. Hierüber berichtete bereits der SWR: Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, werden durch das Präventionsnetzwerk geschult, um Familien künftig unterstützen zu können. So können sie beispielsweise auch Informationen über weitere Unterstützungsangebote an die Familien weitergeben, was der Funktion eines Lotsensystems ähnelt. Anschließend erfolgt die Vermittlung durch speziell weitergebildete Fachkräfte. Dabei ist es auch der Stadt Schorndorf wichtig, dass Patinnen oder Paten gut zur Familie passen und sich beide Parteien gut miteinander verstehen. Bei der Vermittlung haben beide Seiten die Möglichkeit, Wünsche anzugeben und können mitentscheiden. Durch die Initiative des Schorndorfer Präventionsnetzwerks können so auch Familien mit älteren Kindern niedrigschwellig entlastet werden und Hilfe erhalten, wie im Beispiel mit der Familienpatin Claudia Turrek. Sabine Daunderer, Koordinatorin des Schorndorfer Präventionsnetzwerks resümiert gegenüber dem SWR: „Mit ehrenamtlichen Familienpaten kann man sozial benachteiligte Familien gut erreichen“.