Erster Fachtag Armut und Teilhabe am 5. Oktober 2023

Am 5. Oktober 2023 fand der erste landesweite Fachtag Armut und Teilhabe Baden-Württemberg statt. Im Literaturhaus Stuttgart versammelten sich Akteurinnen und Akteure aus Praxis, Politik sowie der Interessenvertretungen von Armut betroffener Menschen. 

Nach der Begrüßung durch Dr. Stephanie Saleth (Leiterin der FamilienForschung Baden-Württemberg) wurde der Fachtag mit einer Podiumsdiskussion zu der Fragestellung, wo Baden-Württemberg im Bereich Armut und Teilhabe steht, eröffnet. Minister Manne Lucha (Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg) diskutierte hierzu mit Mitgliedern des Landesbeirats für Armutsbekämpfung und Prävention: Prof. Christel Althaus (Vorsitzende des Landesfamilienrats BW), Luisa Pauge (Dezernentin, Leitung Dezernat 3 Gemeindetag BW), Roland Saurer (Sprecher Netzwerk 1 Basis- und Betroffeneninitiativen Landesarmutskonferenz BW) sowie Laura Streitbürger (Referentin Koordination Sozialpolitik AWO Bezirksverband Württemberg e.V., Liga der freien Wohlfahrtspflege in BW). 

Foto der Podiumsdiskussion

Minister Manne Lucha betonte, dass die Politik und die freie Wohlfahrtspflege Rahmenbedingungen schaffen müssen, in denen das Versprechen des gesellschaftlichen Aufstiegs eingelöst werden könne. Hierfür stellt der erste Armuts- und Reichtumsbericht, der im Rahmen der Berichterstattung durch die FamilienForschung BW erstellt wurde, aus Sicht des Ministers einen Meilenstein dar. Prof. Christel Althaus lobte das Land für seine Anstrengungen, Kinder- und Familienarmut zu bekämpfen, sieht aber noch weiteres Potenzial in der Familienbildung, der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und einer erhöhten Verbindlichkeit im Bereich der Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut. Laura Streitbürger betonte die Relevanz der Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrung, wobei der freien Wohlfahrtspflege eine Schlüsselrolle zufalle, da sie in engem Kontakt mit den Menschen stehe. Als Voraussetzung für eine gelingende Beteiligung sieht sie eine stabile und solide Finanzierung von Hilfestrukturen. Roland Saurer erläuterte die Rolle der Landesarmutskonferenz und forderte eine konsequente Einbeziehung der Basisstruktur in die politischen Prozesse rund um die Armutsbekämpfung und -prävention. Sein Statement steht hier zum Download zur Verfügung. Für Luisa Pauge stellen Kommunen zentrale Akteurinnen in der Sicherstellung der Teilhabe aller dar. Sie sieht auch in der Altersarmut ein wachsendes Problem. Damit Kommunen ihre Ziele erreichen können, sei es unabdingbar, dass sie mit ausreichend Personal und finanziellen Mitteln ausgestattet werden, so Pauge. Konsens zwischen den Beteiligten der Podiumsdiskussion bestand dahingehend, dass der Fachtag Armut und Teilhabe in Baden-Württemberg im Rahmen der modularen Armutsberichterstattung eine wichtige Austauschplattform für Politik, Praxis und Betroffene ist.

Im Anschluss widmete sich der Fachtag der sozialökologischen Transformation. Hierzu hörten die Teilnehmenden zwei Statements von Menschen mit Armutserfahrung. Doris Kölz (Landesarmutskonferenz BW) plädierte für eine effektive Bekämpfung von Armut und des Klimawandels. Sie kritisierte globale Ungleichheiten und den Umstand, dass Menschen in Armut am wenigsten zur Klimakrise beitragen, aber am meisten unter ihr leiden würden. Haroldo Wiedmann (Landesarmutskonferenz BW) thematisierte die Beteiligung von einkommensbenachteiligten Menschen an der sozialökologischen Transformation und forderte eine entsprechende Sensibilisierung und Bildung für alle, einen gerechten Zugang zu Ressourcen und Finanzen, die Ermöglichung einer aktiven Partizipation und Mitbestimmung sowie die zur Verfügungstellung der erforderlichen Infrastruktur und Dienstleistungen für alle. Sein Statement kann hier heruntergeladen werden. Beide Beiträge transportierten auf eine sehr eindrückliche Art und Weise die Perspektive von Menschen mit Armutserfahrung, was sich für den weiteren Verlauf des Fachtages als äußerst gewinnbringend herausstellte. 

Foto von Doris Kölz

Dr. Benjamin Held (Leiter des Arbeitsbereichs „Nachhaltige Entwicklung“ der Forschungsstätte der evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg) schloss mit seiner Keynote „Sozialökologische Transformation gerecht gestalten“ inhaltlich an die Statements an und brachte den Teilnehmenden in einem informativen Vortrag die volkswirtschaftliche Perspektive auf das Thema näher. Er beleuchtete die Effekte der Externalisierungsgesellschaft auf das Klima und machte deutlich, dass in der Bundesrepublik die oberen Einkommensgruppen für einen Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Demgegenüber stehen Dr. Benjamin Held zufolge erhöhte Belastungen von einkommensbenachteiligten Haushalten durch die Folgen der Klimakrise sowie Abgaben für die CO2-Bepreisung, Netzentgelte und Infrastrukturausgaben. Der Referent kam zu dem Schluss, dass Bildung, Partizipation und Teilhabe sehr relevant für die Akzeptanz und das Gelingen der sozialökologischen Transformation sind. Seine Folien stehen hier zur Verfügung. 

Foto von der Keynote mit Dr. Benjamin Held

Nach der Mittagspause, die Gelegenheit zum Austausch und zur Vernetzung bot, startete der Fachtag mit dem Kurzfilm „Versteckte Helden – Ein Trickfilm gegen Kinderarmut“ in den zweiten Teil. Dabei stand erneut der Austausch zwischen den Teilnehmenden im Mittelpunkt. Sie konnten zwischen einem interaktiven Fachforum zu den Ergebnissen der modularen Armutsberichterstattung Baden-Württemberg oder den Workshops „Armutssensibles Handeln – was bedeutet das? Impulse und Erfahrungen aus dem Präventionsnetzwerk Ortenaukreis (PNO)“ und „Einsamkeit und Armut“ auswählen.

Im Rahmen des Fachforums führten Kristina Faden-Kuhne und Stephanie Bundel durch die zentralen Ergebnisse der Veröffentlichungen der FamilienForschung BW zu den Themen Altersarmut, Armut als Ernährungsrisiko und Erwerbsarmut. Anschließend hatten die Teilnehmenden an drei Thementischen die Möglichkeit, sich zu jedem Thema einzubringen und mitzudiskutieren. Dabei standen insbesondere die Fragen im Mittelpunkt, was im jeweiligen Kontext aus Sicht der Teilnehmenden noch relevant wäre bzw. in die Debatte eingebracht werden sollte und welche sozialpolitischen Prioritäten gesetzt werden sollten. Die Folien zu den drei vorgestellten Berichten können hier und die Ergebnisse der Thementische können hier heruntergeladen werden. Bei den Ergebnissen der Thementische handelt es nicht um Aussagen des Sozialministeriums, sondern ausschließlich um Beiträge der Teilnehmenden.

Foto des Fachforums

Für die Workshops konnten Angela Schickler (Präventionsnetzwerk Ortenaukreis (PNO)) zum Thema Armutssensibilität und Dr. Janosch Schobin (Kompetenznetz Einsamkeit am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V.) zum Thema Armut und Einsamkeit gewonnen werden. Angela Schickler stellte zunächst die Zielsetzung, Struktur und die Angebote des PNO vor, um anschließend das Konzept der Armutssensibilität und seine Relevanz zu erläutern. In einer Gruppenarbeitsphase hatten die Teilnehmenden dann die Möglichkeit, sich selbst mit Armutssensibilität in verschiedenen sozialpädagogischen Settings auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse wurden anschließend im Plenum diskutiert und im Hinblick auf die Lebenslage-Dimensionen systematisiert. Die Folien von Frau Schickler und die Beiträge von den Teilnehmenden des Workshops (keine Aussagen des Sozialministeriums) stehen zum Download zur Verfügung. Dr. Janosch Schobin beleuchtete in seinem Impuls Einsamkeit als ein vielschichtiges Phänomen mit unterschiedlichen Ursachen. Der Workshop thematisierte daher die Begriffe der Einsamkeit und sozialen Isolation. Er veranschaulichte, wie sich diese bemerkbar machen, identifizierte einsamkeitsfördernde und -hindernde Faktoren sowie Handlungsempfehlungen und Präventionsmaßnahmen. Die Folien von Herrn Dr. Schobin sowie die Ergebnisse aus dem Workshop (keine Aussagen des Sozialministeriums) stehen zum Download zur Verfügung.

Dem letzten Programmpunkt waren nochmals zwei Blitzlichter von Menschen mit Armutserfahrung vorangestellt. Zuvorderst schilderte Barbara Baur (Verband alleinerziehender Mütter und Väter Baden-Württemberg e.V.) die Lage von Alleinerziehenden in Armutslagen. In ihrem Statement forderte sie familienfreundliche Rahmenbedingungen, in denen auch Kinder alleinerziehender Eltern gut aufwachsen können. Anschließend beleuchtete Sylvia Wizemann (Ver.di, Bezirk Stuttgart) die Interdependenzen von Armut und Gesundheit. Sie plädierte für gesundheitsfördernde Strukturen in allen Lebensbereichen und ein solide finanziertes Gesundheitssystem, das allen einen gleichberechtigten Zugang gewährt. 

Foto von Barbara Baur

Abschließend widmeten sich die Teilnehmenden in einem World Café den Themenkomplexen Bildung, Gesundheit, Wohnen, Arbeit sowie politische Teilhabe und gesellschaftliches Engagement im Zusammenhang mit Armut. Die angeregten und kontrovers geführten Diskussionen zu Herausforderungen und Lösungsansätzen in den jeweiligen Themenfeldern führten zu Ergebnissen, die nicht die Ansichten des Sozialministeriums wiederspiegeln, sondern ausschließlich die Beiträge der Teilnehmenden darstellen. Die Ergebnisse wurden zum Abschluss der Veranstaltung an Walter Böttiger (Leitung Referat 35 Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg) übergeben, der die Teilnehmenden verabschiedete und einen Ausblick auf das weitere Vorgehen gab.  

Foto der Ergebnisübergabe an Walter Böttiger

Wir freuen uns, dass der Fachtag am 3. Juli 2024 im Stuttgarter Hospitalhof in die zweite Runde geht und hoffen, Sie dort begrüßen zu dürfen.